SCHOTTLAND
17. Juni – Vom Meer in die Berge
Morgens um 7 war die Welt wirklich noch völlig in Ordnung. Der Himmel fast wolkenlos, die Morgensonne ließ die Nordsee glitzern und das Frühstücksbüffet hätte auch einem 5*-Hotel Ehre gemacht. Kurz vor 9 Uhr fuhren wir an der elegant geschwungenen Hafenmauer entlang in den Tyne ein und legten wenig später im Fährhafen von Newcastle upon Tyne an.
Im Laderaum stellten wir fest, dass hinter uns Dutzende von Motorräder standen, im Hafen versammelten sich dann sicher um die 100 Motorradfahrer, die offenbar alle zu einem Bikertreffen wollten. Es gab aber auch etliche Fahrradfahrer, die mit uns von der Fähre rollten – und an die musste ich bei der Weiterfahrt dann öfter mal mitleidig denken.
Nicht nur, weil sich das Wetter bald deutlich verschlechterte und es ziemlich genau an der Grenze zu Schottland zu regnen begann ….
Die Fahrt ging zunächst durch Northumberland und durch das, was die Briten “rolling countryside” nennen – ein ständiges Auf und Ab, über einen Hügel nach dem anderen. Allerdings waren die Ausblicke grandios, von jeder Hügelkuppe aus konnte man kilometerweit in die Ferne schauen. Sattgrüne Wiesen, mit weißen Schafen betupft. Felder, die durch niedrige Steinmauern voneinander getrennt waren, kleine Dörfer mit Häusern in dem für Nordengland typischen grauen Stein, und da die Straßen in Nordengland nicht, wie im Süden, von Trockenmauern oder Hecken gesäumt sind, sieht man auch eine Menge.
Jenseits der schottischen Grenze stoppten wir zunächst in Jedburgh, um die Ruine der alten Abtei anzusehen – der Regen hatte gerade mal eine kurze Pause eingelegt.
Weiter ging es nach Melrose, ein wirklich hübsches Städtchen mit einer weiteren Abtei-Ruine – die allerdings wesentlich bekannter ist als die von Jedburgh.
Für die Weiterfahrt nach Edinburgh wählten wir die Route über die A72 durch das Tweed Valley, am gleichnamigen Fluss entlang – eine wirklich gute Wahl, denn malerischer ging es kaum. Auf der linken Seite mäanderte der Tweed, immer in Sichtweite, davor saftige Wiesen, auf denen Schafe, Pferde und Kühe weideten. Dahinter lagen sanfte Hügel, teilweise mit kleinen Wäldern …. Am Straßenrand zartrosa Heckenrosen, violette Rhododendren, Lupinen, Fingerhut; in den Vorgärten der Häuser dicke Pfingstrosen, Geißblatt, Fuchsien….
Der Regen wurde leider immer heftiger, die Temperatur war inzwischen auf 15°C gefallen, dennoch entschieden wir uns, nicht den direkten Weg nach Pitlochry zu nehmen, sondern hinter Edinburgh einen Abstecher nach Linlithgow zu machen. Im dortigen Schloss war Maria Stuart geboren worden – das mussten wir uns einfach ansehen.
Das Schloss – eher eine Burg, massiv und trutzig – liegt ausgesprochen idyllisch an einem See, ist aber nur noch eine Ruine. Trotz zunehmenden Regens wanderten wir über den Hügel und am See entlang…..
Weiter ging es – über eine winzige Straße durch eine praktisch menschenleere Gegend – Richtung Perth. Einen letzten Stopp – für eine Tasse Tee und einen sündhaft leckeren Chocolate Fudge Cake – legten wir in Dunkeld ein. Die halb verfallene Kathedrale, in der aber immer noch Gottesdienste abgehalten werden, liegt malerisch am Fluss, umgeben von üppigen Rhododendren.
Gegen halb sechs waren wir in Pitlochry und im “Beinn Bhraceigh”, einem sehr komfortablen Bed & Breakfast mit unglaublich netten Gastgebern, in dem wir vor zwei Jahren schon mal übernachtet hatten.
Alf hatte uns fürs Abendessen einen Tisch im “Port Na Craig” Restaurant reserviert – direkt am Fluss.Wir hatten auf ein Essen im lauschigen Garten gehofft – angesichts des Wetters fiel das leider aus, das Essen war aber dennoch ausgesprochen lecker! Und zum Abschluss gab es “daheim” für jeden noch einen Whisky aus Alfs Whisky-Bar – mindestens 100 Sorten stehen dort, man könnte sich also theoretisch durch das gesamte schottische Whisky-Angebot trinken …..
18. Juni – In den Grampian Mountains
Das Wetter nimmt uns auf den Arm – am frühen Morgen Sonnenschein und blauer Himmel, bis wir am Frühstückstisch saßen, waren die Wolken jedoch schon dick und grau und es nieselte…. Dafür war das Frühstück zum Niederknien: Für mich zuerst eine Schüssel heißen Porridge mit dicker Sahne und braunem Zucker. Die Schotten behaupten, danach kann man so gut wie alles mit Gelassenheit hinnehmen. Irgendwie ahnte ich, dass ich das wohl heute noch brauchen würde …..
Danach wählte Dieter eine von Alfs “Kompositionen” – Rösti mit Bacon, Brie, Tomaten, alles zu einem abenteuerlichen und unglaublich leckeren Turm geschichtet, ich begnügte mich mit pochiertem Ei, Tomaten, Pilzen und einem “Kartoffel-Scone”. Zum Abschluss ein Obstsalat aus frischen Früchten – von wegen, schlechte britische Küche!
Inzwischen hatte der Himmel auf Dauerberieselung umgestellt. Wir entschieden uns also gegen eine Wanderung und setzten uns ins Auto. Zunächst ging es zum Loch Tummel und dort zum “Queens View”, angeblich Queen Victorias Lieblingsplatz in Schottland. Trotz des trüben Wetters war der Ausblick traumhaft schön ….
Die Straße führte am See entlang, an dessen Ende überquerten wir eine alte Steinbrücke und fuhren weiter, quer durch die hügelige Landschaft, ins nächste Tal. Dort landeten wir ein dem angeblich schönsten “Glen” der schottischen Highlands, dem Lyon Glen. Am kleinen Fluss entlang fuhren wir auch einer schmalen einspurigen Straße ca. eine Stunde lang durch eine zauberhafte Landschaft – winzige Dörfchen, Wiesen mit Schafen vor düsteren Hügeln ……
verlassen daliegende Gehöfte, der plätschernde Bach ….
Vom Lyon Tal aus ging es in die Berge, über einen Pass – immerhin 550 m hoch! – durch eine kahle aber faszinierende Landschaft zum Loch Tay.
Wieder im Tal angelangt, fuhren wir ans Ende von Loch Tay, nach Killin, wo der Fluss Dochart den Kajakfahrern eine ziemliche Herausforderung in Form heftiger Stromschnellen bietet.
Außerdem liegt dort die Begräbnisstätte des MacNab Clans –praktischerweise direkt neben dem wilden Fluss….
Der Regen wurde immer heftiger – also machten wir uns auf den Rückweg.
Unvermittelt gerieten wir auf der kleinen Straße entlang des Südufers von Loch Tay in eine Art Radrennen – jedenfalls konkurrierten Dutzende von Radlern mit Nummern auf dem Rücken mit uns um den Platz auf der Straße, die kaum breiter war als ein Feldweg. Ich beneidete sie nicht – die Straße war total hügelig, keine 100 m ging es geradeaus, ständig auf und ab, außerdem war sie lehmverschmiert und voller Schlaglöcher.
Entsprechend verdreckt sahen die Radler aus – sowohl von hinten als auch von vorne, manche Gesichter waren derart schlammverschmiert, dass man kaum erkennen konnte, ob es ein Mann oder eine Frau war.
Rund 25 km ging das so, wir überholten sicher an die 100 Radfahrer, bis wir endlich ans Ende des Sees, der Straße und auch des Rennens kamen…. Für Dieter war die Fahrerei auch ganz schön anstrengend, denn er wollte ja keinen der Radler auf dem Kühler haben….
Noch ein kurzer Blick auf Castle Menzies, das mir nicht wirklich gefiel – sehr schottisch, abweisend und trutzig – mal abgesehen von den kraftstrotzenden Jungs über der Eingangstür – dann ging’s nach einem kurzen Stopp für Tee und Scones zurück nach Pitlochry. Im strömenden Regen ……
Ein sehr leckeres Essen im Aulde Smiddy Inn schloss den Tag ab …. morgen soll alles besser werden – zumindest hat Alf uns das fest versprochen! Und damit das auch wirklich was wird, muss noch mal ein Whisky her – außerdem muss der Beitrag ja online gestellt werden und WLAN gibt es (leider 😉 nur unten in der Lounge, wo auch der Whisky steht …..
19. Juni – Von Pitlochry nach Inverness
Gestern Abend wurde es noch ziemlich spät: Als ich mit dem Netbook runter in die Bar/Lounge von Beinn Bhracaigh ging, um den Beitrag online zu stellen und Mails zu checken, saß dort schon eine Frau, die ebenfalls ein Netbook vor und ein Glas Whisky neben sich hatte. Wir kamen ins Gespräch, und es stellte sich heraus, dass Susan zwar aus Glasgow stammt, aber schon seit über 30 Jahren in Ramstein lebt. Die Welt ist wirklich ein Dorf – schon am Vormittag hatte ich mich im Souvenirshop am Queens View mit dem Inhaber unterhalten, und der erzählte, dass seine Schwester in Neustadt an der Weinstraße wohnt …
Jedenfalls quatschten Susan und ich noch eine ganze Weile, sie gab mir ein paar Tipps zur Auswahl eines Schlummer-Whiskys (für Dieter einen aus Tobermory, der auch wirklich gut war, ich nahm einen völlig unbekannten, der fast wie ein Brandy schmeckte) und bis ich dann letztlich meine Blog-Beiträge online hatte, die Mails gecheckt und beantwortet waren (jedenfalls einige davon) und ich endlich mit dem Glas für Dieter rauf ging, war es schon nach elf…. Aber immer noch nicht dunkel!
Und um 4 Uhr war es schon wieder glockenhell – außerdem war der Himmel blau, nur ein paar Wolken, und zarte Nebelschwaden zogen durchs Tal.
Es ist wirklich was dran an der Aussage “Four seasons in a day” über das schottische Wetter: Gestern hatten wir mit 9,5°C fast winterliche Temperaturen, heute Morgen kam der Frühling (15°C), den Mittag verbrachten wir im T-Shirt in der Sonne (bei 20°C), am Abend regnete es dann wieder bei stürmischem, quasi herbstlichem Wind und das Thermometer sank auf 13°C. Und um 21 Uhr kam in Inverness plötzlich wieder die Sonne heraus …. Aber so weit sind wir noch nicht.
Erst mal gab es wieder eines von Alfs Super-Breakfasts – heute mit Rührei und Lachs – dann einen ausführlichen redseligen Abschied (hier freundet man sich mit seinen netten Gastgebern oft richtig an), bevor es auf die A 9 Richtung Inverness ging. Eigentlich wollte ich eine kleine Straße nehmen, aber den Abzweig verpassten wir und dann waren wir erst mal auf der A9 “gefangen”. Ich mag Schnellstraßen nicht – da kommt man zwar fix von A nach B, aber man bekommt viel zu wenig von der Landschaft mit und kann auch nirgends anhalten bzw. nur an ausgewiesenen Parkplätzen.
Dennoch war auch von der Schnellstraße aus die Landschaft unglaublich schön. Zunächst fast lieblich – mit saftig-grünen Wiesen, kleinen Baumgruppen, Hecken – ganz im Hintergrund kamen erst die Berge. Dann stieg die Straße fast unmerklich immer höher, die Landschaft veränderte sich –zuerst immer dichter werdende Wälder, dann nur noch kahle Hügel, die mit bräunlichen Flecken übersät waren: Heidekraut, das im Herbst die Highlands mit einem lila-roten Teppich überzieht, jetzt sah es allerdings eher trübe aus.
Nach ca. 50 km waren wir in Kingussie, das im Tal des Spey-Flusses liegt. Hier ist die Landschaft wieder sanft und grün. Und wieder gerieten wir in eine Art Radrennen bzw. in das “Scotish Bikeathon”. Dieses Mal kamen uns die Radler entgegen – Dutzende von Gruppen jeden Alters, vom Kleinkind auf dem Kinderrad bis zu ziemlich “reifen” Semestern. Über eine Strecke von ca. 10 Meilen erstreckte sich das Feld – erst als wir den Spey überquerten und zu den Ruthven Barracks abbogen, war die Straße wieder frei.
Die Ruthven Barracks, eine Kaserne, die 1715 errichtet worden war, um die Jakobiten in Schach zu halten, thront an strategisch günstiger Stelle auf einem Hügel am Spey.
Inzwischen waren wir auf einer kleinen einspurigen Nebenstraße, wo es für den Fall des Gegenverkehrs iregelmäßig rechts und links Ausweichplätze gibt (“singleroad with passing places”). Die Straße schlängelte sich durch lichte Birkenwälder, die immer wieder von Heide unterbrochen wurden. Am Straßenrand blühten Lupinen in allen Farben, knallgelber Ginster, dazwischen die weißen Birkenstämme, aber auch Kiefern und andere Nadelbäume.
Wir nahmen eine kleine Stichstraße zum Loch An Eilean, einem Moor-See, in dem eine kleine Burg steht. Als die Burg im 14. Jh. erbaut worden war, gab es einen Damm zwischen Ufer und Burg, heute gibt es keinen Zugang mehr.
Etwa eine Stunde lang wanderten wir an dem ruhigen See entlang, genossen die Stille, den Duft der Pinien, die Szenerie. Dann ging es weiter über Aviemore nach Carrbridge, wo eine uralte steinerne Bogenbrücke, die Sluggan Bridge, den kleinen Fluss Dulnain überspannt. Obwohl sie stark beschädigt ist und nicht sonderlich stabil wirkt, kletterten nicht nur etliche Kinder auf ihr herum, auch Dieter musste unbedingt drüber….
Weiter ging es durchs Hochland – wir fuhren kilometerweit auf einer Art Hochebene, Heidekraut links und rechts, in der Ferne die Berge, man hatte fast das Gefühl, den Himmel greifen zu können – bis es in Küstennähe wieder nach unten ging und die Landschaft grüner wurde.
Unser letzter Stopp vor Inverness war Castle Cawdor – untrennbar verbunden mit Shakespeares Macbeth, denn König Duncan soll dort ermordet worden sein.
Uns interessierte weniger die finstere Vergangenheit des Schlosses als zuerst einmal die dortige Teestube (Scones mit Cream und Erdbeermarmelade) und dann der Garten. Oder eher “die Gärten”, denn neben einem Blumen-, einem Nutz- und einem wilden Garten gab es auch den “Walled Garden”, den Paradise Garden, ein Labyrinth und einen sehr formellen Garten.
Wenn meine Kamera Blumen sieht, ist sie kaum mehr zu bremsen – deshalb hier eine kleine Auswahl:
Das Wetter spielte mit, es blieb trocken und ab und zu kam sogar die Sonne raus…. Sogar Kunst gab es im Schlossgarten:
Wir waren nur noch wenige Kilometer von Inverness entfernt, es war noch nicht so spät – also entschlossen wir uns, noch Fort George, eine Festung der Engländer aus dem 18.Jh.direkt am Meer, anzusehen. Eigentlich wollte ich nach Culloden, dem Schlachtfeld, auf dem Mitte des 18.Jh. 10.000ende von Schotten von den Engländern praktisch hingerichtet wurden – aber beides ging nicht und alles, was am Meer liegt, hat bei Dieter absolute Priorität.
Da ich aus etlichen Büchern über die schottischen Kriege wusste, was sich in der Festung alles abgespielt hatte und dass tausende von Schotten von den Engländern dort gefangen gehalten, gefoltert und auch ermordet worden waren, war ich gespannt auf die Anlage – die auch tatsächlich genauso aussah, wie ich mir sie vorgestellt hat – düster, abweisend und furchteinflößend. Zu diesem Eindruck trug auch der einsetzende Regen bei, der das Ganze noch düsterer aussehen ließ.
Leider konnten wir nicht mehr hinein, es war zu spät, also blieben uns nur die Eindrücke in strömenden Regen ….
Bis wir bei unserer Unterkunft in Inverness, Heathcote B&B angekommen waren, hatte der Regen wieder aufgehört, und als wir nach dem Essen im “Waters Edge” (schon wieder suuuper-lecker: Lamm mit Rosmarinjus und Kräuterpolenta sowie einem Stängel gegrillter Kirschtomaten für mich bzw. Lachs-Trio – heiß geräuchert, pochiert und gegrillt – mit wilden Pilzen für Dieter) heim gingen, kam die Sonne strahlend hell hinter den dunklen Wolken hervor. Ein toller Abschluss eines schönen Tages…..
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